Die Hickengrund-Sage
Alle möglichen Völker hat man zu Ahnherren der "Hicken" erhoben: Menschen der Vorzeit, Hunnen, Ungarn, Schweden und hat damit ihre "Besonderheiten" erklären wollen. Runkel und Zaunert berichteten:
"Die Leute im Hickengrund,in den vier Ortschaften Ober- und Niederdresselndorf, Holzhausen und Lützeln, die sind von einem fremden Volksstamm und in der Vorzeit hier eingewandert. Sie bauten sich im Tale des Weiherbaches (dem von Liebenscheide herkommenden Quellarm des Haigerbachs) an und zogen um ihren Gau eine Hecke, so hoch und dicht, daß weder Raubtier noch Feind zu ihnen kam. Das Ländchen blieb für sich und hieß der Heggers- oder Hegengau, später Hickengrund. Die Leute waren an Gestalt, Mundart und Sitte anders als die Nachbarn. Ihre Art hat sich auch lange rein erhalten, sie heirateten nicht mit Leuten anderer Landstriche. Es war ein schöner, gerader Menschenschlag. Dabei sehr wanderlustig, die Männer in früheren Zeiten meist Fuhr- und Handelsleute, mancher hatte acht und mehr Pferde, sie kamen weit herum, bis nach Sachsen, Brabant und ins Braunschweigische.
In der Franzosenzeit ist einmal ein feindlicher General vorübergezogen, der hat die Dörfer erst entdeckt, als er schon daran vorbei war und sich so darüber geärgert, daß er die Hecken abhauen ließ. Seitdem blieb der Hickengrund offen."
Dr. h. c. Karl Löber, Haiger bemerkt dazu folgendes:
"Hier vermischen sich Tatsächliches und Hinzugetanes in merkwürdiger Weise. Es stimmt, daß um die vier Dörfer des Hickengrundes eine Hecke oder "Landhege", eine Art "Verhau" gezogen war. Ihr Verlauf läßt sich heute noch einwandfrei feststellen. Aber die Namen Heggersgau oder Hegengau sind - etwa im Gegensatz zu Haigergau und Haigermark - nirgends belegt. Und der Name Hickengrund ist jung; noch 1617 hieß dieser Kleinraum "Die vier Dorffe". Tatsache ist, daß die Hicken hinter ihrer Hecke so etwas wie einen kleine "Gauschlag" entwickelten; aber das hat es auch in anderen Gebieten gegeben und führte immer wieder zu der Meinung, daß die Einwohner von besonderer Herkunft oder Abstammung geprägt seien. Ein wenig widersprüchliche schildert die Sage das Wesen der Hicken, und der Volksmund tut ihr heute noch nach: Abgeschlossenheit und Eigenbrötelei auf der einen, Weltgewandheit und Wanderlust auf der anderen Seite, Zeichen dafür, daß man ihre kleinen Besonderheiten in Sprache und Wesen als fremdartig empfand. Mit allerlei Schnurren vom "Hick" hat man dem Ausdruck gegeben und doch nicht die sehr alte Zusammengehörigkeit vom Hickengrund und Haigerer Raum stören können."
Der Riese Wackebold
In uralten Zeiten, als die Berge des Hickengrundes noch mit wilden Urwäldern bedeckt waren, hauste auf der Höhe ein mächtiger Riese, Wackebold genannt. Der war so stark, daß er die Bäume des Urwaldes ausreißen konnte, um die Menschen zu erschlagen, wenn sie sich in seine Berge verirrten. Kein Mensch wagte mehr, die Höhe zu betreten, und selbst im Tale war man seines Lebens nicht mehr sicher, denn Wackebold warf sogar auch dorthin mit Basaltwacken. Die sausten wie Kugeln durch die Luft und wehe dem Wanderer, der ahnungslos durch das Wiesental zog: des Riesen Faust verfehlte ihr Ziel nie! Die Steine rollten bis an die tiefste Stelle des Tales: in den Wetterbach. Die Bewohner des Dörfchens am Fuße des Berges verließen deshalb aus Furcht ihre Hütten, um im Nassauer Ländchen eine sichere Unterkunft zu suchen.
Viele hundert Jahre blieb die Gegend menschenleer, und der Riese ward vergessen. Da kam an einem schönen Frühlingsmorgen von den rauhen Höhen des Westerwaldes herab eine rüstige Männerschar. Es war Hans Hick mit seinen sieben Söhnen, alles hagere, baumlange Gestalten, die, durch eine Feuersbrunst um Hab und Gut gebracht , in milderen Talgründen eine neue Heimat suchten.
" Die Gegend hier soll aber nicht geheuer sein", sprach Hans Hick, als sie aus dem verlassenen Dorf in den Wiesengrund schritten. "Meine Großmutter erzählte oft von einem Riesen, der die Leute hier vertrieben haben soll."
"Ammenmärchen!" - sprach Heinz, der Jüngste. In diesem Augenblick erzitterte die Luft. Ein Steinwurf traf den armen Heinz am Kopf, daß er rücklings zu Boden fiel: er war tot. Die anderen hatten gerade noch Zeit, sich hinter einen Wiesenrain zu ducken, als auch schon ein Hagel von Basaltsteinen über sie hinwegging. Sie blieben ruhig liegen, bis die Nacht einbrach und der Steinregen aufhörte. Dann trugen sie den toten Heinz in die halbverfallenen Kirche des Dörfchens. Dort beweinten sie ihn drei Tage lang und begruben ihn. Hans Hick aber schwur dem Riesen bittere Rache.
In einer finsteren Nacht schlich er sich mit seinen Söhnen die Höhe heran. Ein mächtiges Dröhnen ließ den Berg erzittern. Es war das Schnarchen des Riesen, der schlafend neben einem ungeheuren Steinhaufen lag, den er sich zum Vorrat zusammengetragen hatte. Doch ohne Furcht und Zagen schritt Hans Hick auf ihn zu; er nahm einen großen runden Basaltstein hoch in die Hände und stellte sich mit beiden Füßen auf des Riesen breite Stirn. Und als Wackebold gerade kräftig gähnen wollte, warf er ihm den Stein tief in den Rachen, daß der Riese ersticken mußte. So endete sein Leben. Hans Hick und seine Söhne begruben den Leichnam des Ungeheuers unter den Steinen des Basaltkegels.
Dann schleppten die mutigen Männer die Bäume zu Tal, die der Riese ausgerissen hatte. Sie zimmerten Balken und bauten hölzerne Häuser im Talgrund. Ein neues Dorf, Holzhausen, entstand unter den fleißigen Händen und ward von den "Hicken", den Nachkommen Hans Hicks bevölkert. Der Talgrund hieß fortan der "Hickengrund".
Die tapferen Hicken aber spotteten der furchtsamen Bewohner des verlassenen Dörfchens, die aus Angst vor dem Riesen reißaus genommen hatten und nannten den Ort das Dorf der Esel. Und so entstand aus D`r-Eseln-dorf der Name Dresselndorf. Später wurde das halbverfallene Dorf von dem wackeren Geschlecht der Hicken wieder aufgebaut und bevölkert. Der Spottname blieb.
Wohl tausend Jahre sind vergangen, seit Hans Hick die Gegend von dem Riesen Wackebold befreite. Und doch spukte noch lange der Geist des Riesen in den Wäldern der Hickenhöhe........
Die wilden Weiber von Oberdresselndorf
(nach Runkel und Zaunert)
"In Oberdresselndorf auf dem Westerwald erzählt man: Früher sei oft, wenn ein junges Paar heiratete, ihm ein kostbares Geschenk von unsichtbarer Hand zugeflogen. Das hätten dann immer die wilden Weiber getan. Und bei der Ernte hätten sie auf dem Felde mit Garben gebunden, dann sie die Arbeit nur so geflogen. Dafür hätten sie nur ein bißchen Brot und milch verlangt. Als aber einst ein Müller und ein reicher Bauer ihnen nichts gegeben hätten, da seien sie böse geworden und hätten seitdem die Dorfleute an allen Ecken und Enden bestohlen."
Das Wildweiberhaus bei Oberdresselndorf
(nach A. Wurmbach)
Vor vielen Menschenaltern wohnten in jenen Felsenkammern die Wilden Weiber. Es waren kleine, braune Gestalten mit zerzausten schwarzen Haaren und zum Fürchten häßlichen Gesichtern. Die umwohnenden Waldleute, arme Köhler und Schweinehirten, waren diesen Wildleuten hilflos preisgegeben, hatten sie ihnen doch alles zu liefern, was jene zu ihrem Unterhalt brauchten..... Je ängstlicher die Dörfler waren, um so unverschämter und zudringlicher wurden die Weiber. Sie stahlen Eier, -Schinken, Brot und molken die Ziegen in den Ställen. Selbst die Hunde zogen bei ihrem Herannahmen winselnd den Schwanz ein.
Eines Tages hatten die armen Dorfbewohner den wilden Weibern statt der geforderten eisernen Kochtöpfe nur hölzerne Eimer geben können. In der selben Nacht zündeten die Wilden Weiber aus Rache dafür den armen Dörflern sämtliche Dächer über dem Kopfe an. Den bedauernswerten Armen sei nichts übrig geblieben, als den Bettelstab zu nehmen, auszuwandern und jenseits ihrer Wälder ein neues Dorf zu gründen."